Nanotechnologie: Chance oder Risiko?

Die Nanotechnologie gilt als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts. Experten bezeichnen sie als zukunftsweisend und sagen ihr ein enormes Entwicklungspotenzial voraus. Die neuen Möglichkeiten durch Nanotechnologie versprechen Innovationen in vielen Techniken und Bereichen, unter anderem bei Farben und Putzen.

Der Begriff Nano leitet sich von dem griechischen Wort «nanos» (Zwerg) ab. Ein Nanometer ist der milliardste Teil eines Meters (10–9 m = 0,000’000’001 m). Das ist unvorstellbar winzig. Für einen Grössenvergleich stelle man sich vor, ein menschliches Haar (ca. 50 µm dick) etwa 50’000 Mal zu spalten, damit es nur noch einen Nanometer dünn wäre.  Nanotechnologie ist ein Sammelbegriff für eine weite Palette von Technologien, die sich mit Strukturen und Prozessen
auf der Nanometerskala befassen. In der Regel werden alle Partikel kleiner 100 nm (Nanometer) als Nanopartikel bezeichnet. Eigenschaftbestimmend ist bei den Nanopartikeln das extrem hohe Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis. Die «Teilchenzwerge» besitzen, gemessen an ihrem Volumen, eine riesige Oberfläche. Nähme man ein Gramm Nanopartikel und rollte die gesamte
Oberfläche aller Partikel flach aus, würde ihre Oberfläche einige hundert Quadratmeter bedecken. In diesen Grössenordnungen bewegt man sich in einem Grenzbereich, in dem mehr und mehr quantenphysikalische Effekte eine wichtige Rolle spielen. Die grosse Oberfläche und andere wichtige Eigenschaften machen die Nanopartikel so leistungsfähig und attraktiv für neue Technologien.

Mit Richard Feynman begann es.

Als Urvater der Nanotechnologie gilt Richard Feynman, der bereits 1959 in einem Vortrag sagte: «There’s plenty of room at the bottom.» (Ganz unten ist eine Menge Platz). Die nanowissenschaftliche Revolution wurde jedoch erst ab den 1980iger-Jahren durch die Einführung der Rastertunnelmikroskopie eingeläutet, dank welcher nanoskalige
Strukturen erstmals sichtbar wurden.

Die moderne Nanotechnologie ist auf keine Branche beschränkt. Biologen, Chemiker, Physiker, Materialwissenschaftler,
Informatiker und Mediziner arbeiten an Anwendungen für die Nanotechnologie. Sie eröffnet neue Chancen in vielen Wirtschaftsbereichen. Im Bereich der Beschichtungen wurde eine sensationelle Kratzfestigkeit für Oberflächen erzielt. Medizintechnische Geräte können dank Nanotechnologie keimfrei beschichtet werden. In der Pharmazie hofft man,
mithilfe der Nanotechnologie Medikamente gezielter in erkrankte Zellen transportieren zu können, ohne den gesamten Organismus zu belasten. In der Elektronik erlaubt die Nanotechnologie kleinere Strukturen und die Fertigung von Computerprozessoren mit immer höherer Integrationsdichte und Taktraten. Die kleinsten Abmessungen in integrierten Schaltungen betragen nur noch wenige Dutzend Nanometer. Im Bereich Materialverstärkungen eröffnen Nanopartikel neue Möglichkeiten für leichtere und stabilere Werkstoffe. Mit einem dank Nanotechnologie nur noch 900 Gramm schweren Fahrradrahmen darf selbst der Freizeitradler vom Rundenrekord träumen. Und die Vision von ultraleichten und Sprit sparenden Jumbojets rückt in die Nähe der Machbarkeit.

Sauberkeit zum Aufsprühen, Zahnpasta mit Reparatureffekt, Farbdisplays in beliebiger Grösse und zu günstigen Preisen, Brennstoffzellen für leistungsfähigere Handys und Laptops könnten
Realität werden. Die Nanoteilchen sind grosse Hoffnungsträger von Industrie
und Wissenschaft und faszinieren Fachwelt und Laien gleichermassen.

Risiken der Nanotechnologie

Anderseits rücken aber auch die Risiken immer stärker in den Blickpunkt des Interesses. Durch negative Erfahrungen mit neuen Technologien in der Vergangenheit (zum Beispiel Asbest) wird der Ruf nach präventiven Technologiefolgeabschätzungen für die Nanotechnologie lauter, denn die Risiken freier Nanopartikel für die Gesundheit des Menschen und ihr Verhalten in der Umwelt sind erst wenig erforscht. 2007 erschien im WEF Global Risk Report des Weltwirtschaftsforums (WEF) erstmals auch die Nanotechnologie als eine der 23 am ehesten ernst zu nehmenden Risiken für die globale Ökonomie – neben Klimawandel, Ölpreisschock und internationalem Terrorismus. Diskutiert werden vor allem mögliche negative Auswirkungen unkontrolliert freigesetzter Nanopartikel auf den menschlichen Organismus.

Gesetzliche Rahmenbedingungen

Erste Schritte zur gesetzlichen Regulierung der Nanotechnologie wurden national von einzelnen Ländern und international von der Europäischen Union sowie der OECD unternommen. Für die Schweiz wurde Ende 2007 vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) und vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein Aktionsplan zur Beurteilung und zum Management der Risiken synthetischer Nanopartikel vorgelegt und am 9. April 2008 vom Bundesrat gutgeheissen. Derzeit wird ein Risikoraster für Nanopartikel und Anwendungen erarbeitet, welches als Grundlage für mögliche gesetzliche Regulierungen dient. Vorreiterin bei gesetzlichen Vorgaben ist die Bundesumweltbehörde der USA (EPA), die seit kurzem vorschreibt, dass Produkte, die Silber-Nanopartikel enthalten und eine keimtötende Wirkung anpreisen, vom Hersteller auf ihre Unbedenklichkeit für die Umwelt untersucht werden müssen. Die 2006 eingeführte Massnahme betraf gleich mehrere Firmen. Da die Regulierung aber auf die Deklaration der keimtö­ tenden Eigenschaften aufbaut, erfolgte nach Entfernung der Informationen über Silberpartikel aus der Produkteinformation keine Verfolgung durch die EPA. Die Regelung der EPA kann also leicht umgangen werden.

Sind Nanopartikel giftig?

Über die Toxizität (Giftigkeit) freier Nanopartikel ist erst wenig bekannt. Toxikologische Studien zeigen aber, dass Nanopartikel aufgrund ihrer Winzigkeit ungehindert die Zellhülle durchdringen können. Studien zu verkehrsbedingten Nanopartikeln belegen, dass Nanopartikel die Alveolenmembran (das heisst die Lungenbläschen) passieren und in die Blutbahn gelangen können und so die Blutgerinnung stören oder direkt zum Herzen und in andere Organe transportiert werden könnten. Weiterhin wurde nachgewiesen, dass Nanopartikel nach Inhalation direkt aus der Nase ins Gehirn gelangen können, wodurch zentrale Nervenfunktionen gestört werden könnten. Nanopartikel sind zudem so klein, dass das Immunsystem nicht auf sie reagiert. So besteht die Gefahr, dass sie von Abwehrzellen «übersehen» werden. Jüngst wurde nachgewiesen, dass Nanopartikel sogar Zellwände passieren und ins Zellinnere vordringen können. Studien der Empa in Zusammenarbeit mit der ETHZ (Eidgenössische Technische Hochschule Zürich) belegen aber auch, dass die chemische Zusammensetzung der Nanopartikel wesentlich das Ausmass der Zelltoxizität beeinflusst.

Nanotechnologie in Farben

Auch für Farben sollen die neuen Möglichkeiten der Nanotechnologie genutzt werden. Bisher sind im Wesentlichen zwei Typen von Nanopartikeln in der Anwendung: Nanopartikuläres Silber (Ag) als Ersatz für konventionelle Biozide sowie nanopartikluläres Titandioxid, das einen selbstreinigenden Effekt der Fassade ermöglichen soll. Die beiden Nanopartikelarten und ihre Wirkung sind im Beitrag «Nanotechnologie in Fassadenfarben» ab Seite 8 dieser Ausgabe von applica beschrieben.